
Vor einem Monat traf sich der Sportjournalist Robert Knajz für einen Fernsehbeitrag auf HTV1 mit Josko Gvardiol, dem neuen kroatischen Hoffnungsträger in der Innenverteidigung. Angesprochen auf den besten Stürmer, den der 20-Jährige in seiner noch jungen Karriere verteidigen musste, verwies Gvardiol auf sein Länderspieldebüt gegen Belgien im Juni 2021. Die Manndeckung von Romelu Lukaku erwies sich offenbar als derart unangenehme Aufgabe, dass Gvardiol sich zu einer sonderbaren Assoziation veranlasst sah. Lukakus Körperbau, so Gvardiol, sei mit einem „dreitürigen Kleiderschrank“ zu vergleichen. Eine Beschreibung, die eineinhalb Jahre später annähernd ihn selbst beschreiben könnte. Mittlerweile wirkt die Präsenz von Kroatiens Maskenmann auf dem Platz ähnlich furchteinflößend wie die von seinem belgischen Gegenspieler.
Am vergangenen Donnerstag trafen die zwei nun erneut aufeinander, dieses Mal beim entscheidenen Gruppenspiel einer Weltmeisterschaft. Belgien fehlte zum Weiterkommen ein Tor, als Borna Sosa in der 92. Minute eine Flanke direkt in den Lauf von Romelu Lukaku klärte. Weil sich Gvardiol handlungsschnell zwischen Ball und Stürmer schmiss und die Situation in höchster Not mit ausgestrecktem Bein klärte, scheiterte Lukaku dieses Mal nicht erneut an seinem eigenen Unvermögen, sondern am kroatischen Innenverteidiger. Belgien blieb torlos, Kroatien hingegen zog ins Achtelfinale ein. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel wollte Kroatiens Trainer Zlatko Dalic die Leistung eines Spielers gesondert hervorheben und geriet ins Schwärmen: „Josko ist der beste Innenverteidiger der Welt. So reif zu spielen, das ist unglaublich.“
Atypische Zahlen für einen Innenverteidger
Obwohl die These manch einem etwas zu hochgegriffen erscheinen mag, hat der junge Kroate zweifelsohne das Potenzial, in den nächsten Jahren zum besten Spieler auf seiner Position heranzuwachsen. ZDF-Experte Christoph Kramer lieferte unlängst seine ganz persönliche Einordnung zu den Leistungen des Kroaten, indem er Gvardiol als den „polyvalentesten Verteidiger der Welt“ betitelte. Soll bedeuten: Keiner ist in der Abwehrreihe so flexibel einsetzbar wie der 20-Jährige. Vor allem in der Kombination mit einem robusten und erfahrenen Innenverteidiger an seiner Seite scheint Gvardiol seine Stärken besonders gut ausspielen zu können. Das zeigen seine Statistiken in der Bundesliga, wenn er mit Willi Orban das Innenverteidiger-Duo bei RB Leipzig bildet, und nun auch seine Leistungen bei der Weltmeisterschaft an der Seite von Dejan Lovren.
Laut „FBref“ gehört Gvardiol mit 7,17 Balleroberungen pro 90 Minuten in den letzten 365 Tagen zu den besten 13 Prozent auf seiner Position in Europas Top-Fünf-Ligen. Gemessen an seinem Alter verfügt Gvardiol bereits jetzt über ein überdurchschnittlich gutes Stellungsspiel, sei es bei Flanken oder in der Eins-gegen-eins-Verteidigung. Seine Highlight-Videos sind gefüllt mit Situationen, bei denen er schon bei der Ballannahme des Stürmers an dessen Rücken klebt und ihm kurz darauf den Ball vom Fuß spitzelt. Außerdem hilft ihm seine bullige Statur im Zweikampf. Mit 6,81 Pässen pro Spiel in das letzte Drittel der gegnerischen Hälfte kann Gvardiol bessere Zahlen vorweisen als 98 Prozent der Innenverteidiger. Dabei gehören auch punktgenaue Diagonal-Bälle über das halbe Feld zu seinem Repertoire. Die Statistiken zeigen allerdings auch, dass das Spiel des Kroaten noch einige Ecken und Kanten hat: Gvardiol gewinnt bei dieser WM nur 0,35 Kopfballduelle pro Spiel. Damit gehört er zu den schwächsten vier Prozent in dieser Kategorie. Was zudem in der Bundesliga auffällt: Der Innenverteidiger lässt sich häufig zu Offensiv-Ausflügen hinreißen, womit er bei Ballverlust für große Lücken in der eigenen Defensive sorgt.
Erfolg mit der Nationalmannschaft steht über allem
Bei der Weltmeisterschaft kann sich Trainer Zlatko Dalic allerdings auf die Disziplin seiner Hintermannschaft verlassen. Die Kroaten kassierten nach 510 Turnier-Minuten erst drei Gegentore. Sogar die brasilianische Star-Offensive verzweifelte bei der Viertelfinal-Niederlage ein ums andere Mal am kroatischen Abwehrverbund. Welchen Stellenwert die internationalen Erfolge für Josko Gvardiol haben, wurde im Interview mit HTV1 vor dem Turnier deutlich: Auf die Frage nach dem besten Moment seiner Karriere antwortete der 20-jährige mit seinem Länderspiel-Debüt, nicht etwa mit dem Gewinn des DFB-Pokals. Fest steht: Durch seine Leistungen bei der WM dürfte Gvardiol bei sämtlichen Top-Teams aus Europa für einen möglichen Sommer-Transfer ganz oben auf der Liste stehen.
Heute wartet im Halbfinale mit Argentinien das nächste südamerikanische Schwergewicht auf die Kroaten. Dann dürfen sich Lionel Messi und seine Mannschaftskollegen am Abwehrbollwerk um Josko Gvardiol versuchen. Mit einem Sieg könnte Kroatien nach 2018 erneut ein Finale bei einer Weltmeisterschaft erreichen. Wie auch immer das Spiel und damit das Turnier für die Argentinier endet: Josko Gvardiol wir einiges zu erzählen haben.
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